Schauen wir uns die Welt an. Da sind Figuren wie Trump und Putin, die ganz offensichtlich nach dem Sieg streben, nach der absoluten Vorherrschaft. Ist das ein Kampf? Oder ist es… ein Spiel? Ein Spiel, für das ihre Völker einen furchtbaren Preis zahlen müssen? Das gab es früher schon, als Adlige ihre Streitigkeiten auf dem Rücken ihrer Völker austrugen.
Aber was ist es heute? Und was passiert, wenn in diesem Spiel auch noch die Idee der Auserwählung mitschwingt – die Überzeugung, von einer höheren Macht (oder dem Schicksal) für den Sieg bestimmt zu sein? Wird es dann zu einem großen, gefährlichen „christlichen“ Spiel um Himmel und Hölle, oder ist es einfach nur bitterster Ernst in grenzenloser Dummheit?
Das führt uns zur Frage: Was ist das überhaupt – das Spiel?
Kindheit als Spiegel: Was lernen wir vom Spielen?
Eine schöne Definition besagt: Spielen ist, wenn Kinder ohne Zwang die Realität nachspielen, um sich mit ihr vertraut zu machen. Es ist ein natürlicher Weg, die Welt zu verstehen.
Aber hier liegt auch eine Falle: Was, wenn die Realität, die unsere Kinder beim Spielen erleben, schon von Machtkampf, Wettbewerb und Krieg bestimmt ist? Dann lernen sie genau diese Realität kennen. Sie lernen, dass es beim Spielen (und damit im Leben) darum geht, zu gewinnen, andere auszutricksen, oder dass einfach Glück und Pech entscheiden. Wenn sie erwachsen werden, machen sie oft genau damit weiter, weil sie nie gelernt haben, die Regeln dieses Spiels – die Realität selbst – kritisch zu hinterfragen.
Die Spiele unserer Gesellschaft: Kapitalismus als Glücksspiel mit Selektion
Schauen wir uns die Spiele an, die unsere Kultur prägen: Spiele, bei denen einer gewinnt und andere verlieren. Spiele des Austricksens. Spiele, bei denen der Zufall (Glück oder Pech) eine große Rolle spielt (Würfelspiele, Kartenspiele).
Diese drei Elemente – Gewinnen/Verlieren, Austricksen, Glück/Zufall – sind zutiefst prägend für unsere Gesellschaft, ganz besonders für unsere Wirtschaft, die heute so vieles bestimmt.
Dieses „Spiel“ unserer Wirtschaft wird, wie wir schon besprochen haben, unterstützt von tief sitzenden religiösen Strukturen der Selektion. Die Idee, dass nur wenige „auserwählt“ sind – einst von Gott, heute vom Markt oder vom Schicksal – steckt tief in uns.
Das zeigt sich sogar in unserem Bildungssystem: Es geht oft nicht um freies, spielerisches Lernen (das ja, wie schon Platon wusste, am effektivsten ist, weil Zwang das Gelernte wieder vergessen lässt). Stattdessen geht es um Angst, um Machtspiele (zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Schüler:innen), um Wettbewerb, um frühe Selektion. Kinder sollen lernen zu funktionieren, sich anzupassen, die Rolle des Rädchens im System zu akzeptieren, und vor allem: Angst zu haben und sich nicht selbstbestimmt zu wehren. Wer im Selbstbewusstsein gebrochen wird, fügt sich leichter in die Logik der Gewinner und Verlierer.
Diese kapitalistischen, kriegerischen Spiele, die auf Gewinn und Verlust angelegt sind, prägen unsere Kinder in einem Teufelskreis: Als Erwachsene spielen sie diese Spiele weiter und verfestigen so die Realität, die wiederum die nächste Kindergeneration prägt.
Der Ökonom Hayek beschreibt den Kapitalismus mit den Begriffen „Zeit und Zufall“. Das ist das Prinzip des Glücksspiels. Ob du am Ende reich bist oder alles verlierst, erscheint wie Glück oder Pech. Und für diejenigen, die noch an eine höhere Macht glauben, kann dieser Zufall sogar als Ausdruck des göttlichen Willens oder der Gnadenentscheidung interpretiert werden. Erfolg wird zum Zeichen der „Auserwählung“ im weltlichen Spiel.
Auch im Kleinen sehen wir diese Muster: Wenn ein Buchkritiker wie Denis Scheck Bücher „auswählt“ oder „verwirft“ mit den Bildern von Himmel und Hölle, zeigt das, wie tief diese Logik der Selektion und Auserwählung in unserer Kultur sitzt – oft unbewusst. Und im Großen sehen wir, wie Milliardäre wie Trump ihre „Auserwählten“ (Freunde, Unterstützer) in den „Himmel“ der Macht und des Reichtums befördern, während andere (z.B. Migranten) in die „Hölle“ der Ausgrenzung und Verachtung geschickt werden. Ein bitteres Abbild der christlichen Vorstellung von Gericht und Auserwählung, übertragen auf die weltliche Bühne.
Wenn die Gesellschaft ein Glücksspiel ist: Was wird aus „Leistung“?
Und hier liegt ein weiterer kritischer Punkt: Wenn unsere Gesellschaft aber nach den Regeln des Glücksspiels funktioniert, dann wird der Begriff „Leistung“ pervertiert.
Dann hat das, was am Ende herauskommt (Wohlstand, Reichtum, „Sieg/Gewinn“), gar nicht mehr primär mit deiner tatsächlichen Anstrengung, deinem Talent oder deiner „Leistung“ im Sinne von sinnvollem Beitrag zu tun. Dann ist das nur noch Glück oder Pech.
Und dieses „Glück“ oder „Pech“ beginnt schon fundamental damit, in welche Familie wir hineingeboren werden. Welche Startchancen haben wir? Welchen Zugang zu Bildung, zu Netzwerken, zu Kapital? Das ist wie das erste Austeilen der Karten beim Poker – kaum beeinflussbar, aber entscheidend für den weiteren Verlauf.
Die harte Realität zeigt: Echte Arbeit, ja selbst jahrzehntelange „Maloche“, führt nicht unweigerlich zu Wohlstand, geschweige denn zu Reichtum. Viele Menschen arbeiten unglaublich hart, oft in mehreren Jobs, und schaffen es trotzdem kaum, ein kleines Sparvermögen aufzubauen oder sich gegen unerwartete Ausgaben abzusichern. Sie halten sich gerade so über Wasser, während andere durch Spekulation, Erbschaft oder einfach „Glück“ im System reich werden, ohne vergleichbare „Leistung“ im traditionellen Sinn zu erbringen.
Diese Diskrepanz zwischen der Erzählung von der Leistungsgerechtigkeit und der Realität des ökonomischen Glücksspiels ist eine tiefe Ungerechtigkeit. Sie untergräbt die Idee, dass das System fair ist, und lässt viele Menschen frustriert, erschöpft und ohnmächtig zurück.
Agon: Wettstreit um die Wahrheit oder Kampf um die Vorherrschaft?
Was ist mit dem griechischen Agon? Dem Wettstreit? War das ein reines Spiel? Meines Erachtens birgt schon dieses Konzept Spuren der patriarchalischen Entwicklung, die auf Konkurrenz und Kampf um Ressourcen (Gebiete bei Eroberern) basiert, nicht auf der Harmonie der indigenen Urgesellschaften, die nach Bedarf versorgten und keinen ständigen Kampf nötig hatten.
Ein positiver Agon wäre der Wettstreit der Argumente, wie in der Sokratischen Mäeutik – ein gemeinsames Ringen um die Wahrheit durch Nachfragen und Widersprechen. Aber selbst dieser Wettstreit wird erst notwendig, wenn die ursprüngliche Harmonie zerstört ist und Widersprüche das Miteinander erschweren.
Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die eine solche Auseinandersetzung der Ideen auf eine zivilisierte Weise ermöglicht. Aber auch hier wird der Agon oft pervertiert. Moderne Talkshows sollten der Marktplatz für den Austausch sein, sind aber oft nur Arenen, in denen sich die Teilnehmer zur Belustigung des Publikums zerfleischen – eine moderne Form von „Brot und Spielen“, bei der es nicht um Erkenntnis, sondern um Show und Quote geht.
Zurück zum Kind: Was ist wahres Spiel?
Um wirklich spielen zu können, müssten wir wieder „Kind sein“? Ja, aber was bedeutet das?
Ein Kind schaut staunend in die Welt. Es will verstehen, völlig freiwillig. Es will Zusammenhänge erkennen. Es lebt seine ursprüngliche Menschlichkeit aus, sucht Freunde, fühlt mit anderen, will helfen. Kinder verstehen nicht, warum man sich gegenseitig weh tut oder unterdrückt. Sie wollen solidarisch sein.
Das ist eine ur-philosophische Haltung! Neugier, der Wille zu verstehen, Empathie, Solidarität.
Wenn wir also wirklich „Kinder sein“ wollen, müssen wir uns diese philosophische Haltung bewahren: staunen und verstehen wollen. Dann erst sind Spiele möglich, in denen wir uns nicht gegenseitig bekämpfen und nur über andere triumphieren wollen.
Die Spiele des Kapitalismus – Wettbewerb, Gewinnstreben, Börse als Pokertisch, Gesellschaftsspiele wie Monopoly – sind nicht Ausdruck dieser kindlichen, philosophischen Haltung. Sie sind Abbilder der römischen Spiele: Shows zur Unterhaltung und Ablenkung der „Pöbelmassen“, damit diese nicht aufmüpfig werden und die Reichen in Ruhe lassen. Sie sollen uns daran gewöhnen, dass es Gewinner und Verlierer gibt, dass das eben „normal“ ist.
Der Ernstfall ist der Frieden, nicht der Krieg
Die Nazis haben ihr tödliches Spiel verloren. Ihr Spiel war das patriarchale Ur-Spiel, das am Ende nur eine Frage kannte: Wer gewinnt und ist auserwählt? Heute scheinen Trump und Putin dieses Spiel fortzusetzen. Und die Frage ist, welche Rolle Europa in diesem Spiel „spielen“ will.
Doch ein sehr wichtiges Zitat erinnert uns: Spiel kann nur wahres Spiel in einer friedlichen, solidarischen Welt sein. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, das ist schon die Folge einer Welt aus Widersprüchen. Sondern der Frieden ist der Ernstfall. Frieden zu leben und zu erhalten, das ist die wahre Herausforderung des Menschen, die wahre Leistung. Das ist der Gegensatz zum faschistischen Denken, das Frieden als Schwäche und Verfall sieht.
Wahrheit in einer Demokratie zu finden – durch Dialog, durch Argumente (im Sinne eines positiven Agon) – ist eine ernsthafte Aufgabe. Sie erfordert Vernunft, Mut und die Bereitschaft, sich mit Widersprüchen auseinanderzusetzen. Aber gerade dieses Ringen um Wahrheit und Gerechtigkeit schafft den Boden, auf dem freies Spiel, wahre Muße und echte menschliche Entfaltung möglich werden.
Heute sind Kinder oft längst ihres freien Spiels beraubt. Sie kämpfen mit dem Druck und den Spannungen der Gesellschaft, noch bevor sie sie verstehen. Sie sollen schon früh zu „Siegern“ in diesem kranken Spiel werden, anstatt sich frei zu entfalten. Das ist nicht Spiel, das ist Dressur.
Echtes Spiel ist nur in Freiheit möglich. Aber wir leben in einem System, das auf Machtkämpfen, Unterdrückung und der Illusion basiert, dass Glück im Gewinnen und Konsum liegt.
Wir müssen lernen, die Spiele, die uns aufgezwungen werden, zu durchschauen. Wir müssen uns die Fähigkeit zum staunenden, kritischen, philosophischen Denken zurückerobern – die Fähigkeit zum „Kind sein“ im besten Sinne. Das ist der Weg zur Muße, zur Autonomie und zur Möglichkeit, eine Welt zu gestalten, in der nicht die Spiele der Mächtigen, sondern wahres, freies, solidarisches Spiel möglich ist.