Friedrich Nietzsche – ein Name, der oft Ehrfurcht hervorruft, aber wirklich zurecht?
Halte dich fest, denn hier sind einige Zitate, die man erst mal sacken lassen muss:
- „Es gibt gar kein giftigeres Gift […] als die Lehre von der Gleichheit.“
- „Fast alles, was wir höhere Kultur nennen, beruht auf der Vergeistigung und Vertiefung der Grausamkeit…“
- „…denn leiden sehen, tut wohl; leiden machen noch wohler.“
Krasse Aussagen, oder? Was meinte dieser Philosoph damit? Gehen wir dem auf den Grund.
Kultur braucht Genies – und die sind extrem selten
Nietzsche sah das Problem der Ethik (was ist gut, was ist schlecht?) eng verbunden mit dem Problem der Kultur. Für ihn war Kultur das, was die höchsten geistigen Werte hervorbringt, zum Beispiel in Kunst und Wissenschaft.
Aber hier kommt seine radikale Idee: Solche Höchstleistungen sind untrennbar mit der Existenz und dem Wirken von genialen, herausragenden Einzelnen verbunden.
Seiner Ansicht nach sollte die Menschheit eigentlich darauf hinarbeiten, solche wenigen, großen Menschen hervorzubringen. Das und nichts anderes sei ihr eigentliches Ziel. Der schlimmste Verlust wäre, wenn diese „höchsten Menschentypen“ nicht entstehen.
Warum Gleichheit für Nietzsche ein Gift ist
Und genau deshalb war für ihn die Idee der Gleichheit so fatal. Basierend auf seiner Sicht der Geschichte glaubte er, dass solche herausragenden Menschen niemals in einer Gesellschaft entstehen können, in der alle gleich sind und gleich viel zählen.
Für ihn brauchte es dafür eine Art aristokratische Gesellschaft, eine klare Rangordnung, eine Ungleichheit der Werte zwischen den Menschen. Er sprach sogar davon, dass eine Form von „Sklaverei“ nötig sei.
Deshalb lehnte er Ideen wie „jeder Wille ist gleichwertig“ oder das Ziel, das größte Glück für alle zu erreichen, vehement ab. Solche Prinzipien, so Nietzsche, seien „lebens- und entwicklungsfeindlich“. Die Sozialdemokratie sah er als Zeichen des „Verfalls“, als etwas, das den Menschen verkleinert. Sie würde aus den Menschen seiner Meinung nach „Zwergtiere der gleichen Rechte und Ansprüche“ machen, eine „autonome Herde“ ohne echte Spitzen und ohne den Mut zur Ungleichheit, die erst wahre Größe ermöglicht. Daher seine drastische Aussage, Gleichheit sei das giftigste Gift.

Vom Kulturförderer zum grausamen „Übermenschen“
In seinen späteren Schriften durchlief Nietzsches Ideal eines solchen herausragenden Menschen eine beunruhigende Wandlung. Anfangs sah er diesen Idealmenschen noch eher als großen Kulturförderer, als Schöpfer geistiger Werte.
Später begann er jedoch, selbst das intellektuelle Leben skeptisch zu sehen. Er fokussierte sich auf pure Willensstärke und entwickelte eine (wie der Originaltext sagt, vielleicht nur „krankhaft“ zu verstehende) Vorliebe für den „Raubmenschen“ und den gewalttätigen Verbrecher. Also für jene, die sich einfach nehmen, was sie wollen, und ihre Macht ohne Rücksicht ausüben.
Während er früher noch schrieb: „Lieber zugrunde gehen als hassen und fürchten…“, klang es später ganz anders. Er meinte, fast alles, was wir „höhere Kultur“ nennen, beruhe auf der „Vergeistigung und Vertiefung der Grausamkeit“.
Diese Grausamkeit sei eine „große Festfreude der Menschheit“, eine notwendige Zutat in fast allen Bereichen. Seine schockierende Folgerung: „leiden sehen, tut wohl; leiden machen noch wohler.“
Vitalität durch Grausamkeit?
Eng damit verbunden ist sein (oft sehr aggressiver) Kampf gegen das Mitleid. Für ihn war Mitleid nicht etwa ein Zeichen von Güte, sondern ein Anzeichen von Schwäche, von mangelnder „Vitalität“ (Lebenskraft). Mitgefühl und Nächstenliebe sah er als etwas „Verächtliches“, als Ausdruck einer körperlichen Überempfindlichkeit, die zum „Dekadenten“ (Verfallenen) gehört.
Seine späte, provokante These: Um Fortschritt zu ermöglichen und der wachsenden „Kleinheit“ des Menschen entgegenzuwirken, müssten die gewalttätigen, selbstsüchtigen Instinkte wieder Raum bekommen.
Der „Übermensch“: Jenseits von Gut und Böse?
Hier kristallisiert sich die Vorstellung vom Übermenschen heraus – einem Ideal, das aber nur für äußerst wenige gilt. Für Nietzsche ist der Übermensch nicht der nette, moralische Mensch von nebenan. Es ist der „Gewaltmensch“, der wirklich „Einzige“, der nicht in der Masse existiert, sondern vielleicht nur einmal in Jahrhunderten oder Jahrtausenden erscheint.
Für diesen seltenen Typ gelten traditionelle Moralvorstellungen nicht mehr im gleichen Maße. Während „anständige Einfalt“ (traditionelle Gerechtigkeit) für die Masse okay sein mag, ist für den Stärkeren die „vollendete Ungerechtigkeit“ nützlicher, ja sogar ein Zeichen von „Wohlberatenheit“ (Klugheit).
Wer im humanistischen Sinne gut und moralisch sein will, ist nach dieser Sichtweise unglücklich, weil ihm der nötige „Wille zur Macht“ fehlt. Wille zur Macht bedeutet:
- Wille zur Grausamkeit,
- zur Durchsetzung,
- zum Einsatz all jener (aus Sicht der Masse) negativen, amoralischen Fähigkeiten, die den wahren, vitalen Übermenschen ausmachen.
Für Nietzsche soll man das Böse nicht überwinden, sondern als Ausdruck von Stärke und Lebendigkeit sehen und es sogar suchen und steigern.
Nietzsches unbequeme Schatten in unserer Gegenwart: warum das uns heute noch beschäftigt
Diese Gedanken von Nietzsche sind radikal, ja schockierend. Aber jetzt kommt die unbequeme Frage:
Warum ist das relevant für uns heute?
Weil Nietzsches Ablehnung der Gleichheit, seine extreme Herausstellung des Genies und sein Ideal des rücksichtslosen „Übermenschen“ als starker Einzelner, der sich über Regeln stellt, unheimlich gut zu Tendenzen in unserer modernen, stark neoliberal geprägten Gesellschaft passen.
Nietzsches Gedanken sind absolut aktuell.
Schauen wir uns um:
- Leistungsdruck und Wettbewerb: Die ständige Forderung nach Optimierung, nach dem „Schneller, Höher, Weiter“ für den Einzelnen. Wer nicht mithält, wird als Verlierer abgestempelt.
- Das selektive Schul- und Arbeitsleben: Ein System, das ständig sortiert, bewertet und klare Rangordnungen schafft. Wer „leistungsstark“ ist, gehört zur Elite; wer nicht, gehört zur Masse, die weniger zählt.
- Die Verherrlichung des „Gewinners“: Unternehmer, Manager, Stars – jene, die sich durchgesetzt haben und Reichtum oder Macht angehäuft haben, werden oft bedingungslos gefeiert, ungeachtet der Mittel oder der „Verlierer“ auf dem Weg.
Sind das nicht Echos, sogar direkte Ausdrücke, von Nietzsches Philosophie der Ungleichheit und des Rechts des Stärkeren? Die Idee, dass nur die Leistungselite, die „Wölfe“ (um in einem seiner Bilder zu bleiben), wirklich zählen und die „Herdentiere“ (die Masse) nur dazu da sind, den Weg für die Spitzen zu ebnen?
Philosophie als Werkzeug: Erkennen und Hinterfragen
Diese Zusammenhänge zu erkennen, ist der erste Schritt. Nietzsche hat extreme Positionen formuliert, die uns zwingen, über unsere eigenen Werte nachzudenken:
- Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Grausamkeit (oder zumindest rücksichtslose Durchsetzung auf Kosten anderer) als Zeichen von Stärke gilt?
- Akzeptieren wir, dass Gleichheit nur ein Gift ist und manche Menschen qua Geburt oder Leistung mehr wert sind als andere?
Genau hier setzt Philosophie an – und damit auch meine Akademie. Wir nutzen die Philosophie nicht, um einfache Antworten zu finden oder uns von alten Texten vorschreiben zu lassen, wie wir zu leben haben. Sondern um:
- Muster zu erkennen: Die tiefen historischen und philosophischen Wurzeln heutiger Phänomene zu verstehen.
- Kritisch zu hinterfragen: Die Begründungen für Leistungsdruck, Ungleichheit und die Verherrlichung der Starken zu prüfen.
- Bewusst zu entscheiden: Welche Werte wirklich wichtig sind und wie wir leben und handeln wollen, jenseits von übernommenen gesellschaftlichen Dogmen.
Die Ideen von Denkern wie Nietzsche mögen provokant und schwer zugänglich sein, aber sie helfen uns, die Logik und die oft verborgenen Annahmen hinter den Herausforderungen unserer Zeit zu durchschauen.
Wenn du bereit bist, solche unbequemen Fragen zu stellen und dein eigenes, selbstbestimmtes Denken zu schärfen, dann bist du herzlich eingeladen, diesen Weg mit mir zu gehen.