Welchen Einfluss hat Arbeit auf unser Leben?

Was ist Arbeit?

Entspricht die moderne Arbeitswelt dem Wesen des Menschen?

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was Arbeit für dich bedeutet? Vermutlich denkst du bei dem Begriff Arbeit zunächst an Erwerbsarbeit. In unserer Gesellschaft ist dies die Arbeit, die allgemein anerkannt ist, denn nur damit verdienst du Geld. Doch was gibt es überhaupt für Formen der Arbeit? Ich denke an folgende:

  • Erwerbsarbeit
  • Ehrenamtliche Arbeit allgemein
  • Erziehungs- und Betreuungsarbeit
  • Haushalt
  • Weiterbildungen
  • Schule/Studium
  • politisches Engagement

Fällt dir noch etwas ein?

Mein Großvater hat sein Leben lang voll gearbeitet bis er 65 Jahre alt war. Direkt bei seinem Eintritt in die Rente starb er. Meine Großmutter, seine Frau, hat drei Kinder geboren und erzogen, mein Opa war als Vollzeitarbeiter kaum zu Hause. Sie hat natürlich den Haushalt allein gemacht und war für alles andere außerhalb der Erwerbsarbeit zuständig. Ich war damals noch nicht auf der Welt, aber als ich später von dem frühen Tod meines Großvaters erfuhr, habe ich viel darüber nachgedacht.

Es erschien mir ungerecht, dass er als derjenige, der sein Leben lang gearbeitet hat, seinen verdienten Ruhestand nicht erleben durfte. Dass meine Großmutter auch schwer gearbeitet hat, dass sie im Krieg auf ihren Mann verzichten musste und selbst danach noch sieben Jahre in aller Ungewissheit auf ihn gewartet hat, war mir weniger bewusst. Ich dachte, dass sie noch von „seinem“ Geld, der Witwenrente, lange „profitieren“ konnte.

„Arbeit“ ist ein Hauptthema der Philosophie

Angeregt von der Situation meiner Großeltern habe ich mich später viel mit dem Thema Arbeit beschäftigt. Ein Hauptthema der Philosophie, denn der Arbeitsbegriff ist prägend für eine Gesellschaft. Wie gerecht ist unser Arbeitssystem und welches Menschenbild steckt hinter der kapitalistischen Erwerbsarbeit?

Erwerbsarbeit bestimmt unser Leben. Und zwar dann, wenn wir sie haben und auch, wenn wir sie nicht haben. Denn in unserer Gesellschaft hängt der soziale Status des Menschen stark damit zusammen, womit wir unser Geld verdienen. Oder ob wir eben kein bzw. wenig Geld verdienen.

Der gesellschaftliche Druck entsteht durch die Bewertung eines Menschen. Da in unserer Gesellschaft das Leistungsprinzip gilt, wirst du danach bewertet, was du für unserer Gesellschaft leistest.

Stop, Leistung?

Heißt das, wir leisten nur etwas, wenn wir erwerbstätig sind?

Und leisten wir mehr, wenn wir viel verdienen und leisten wir weniger, wenn weniger oder nichts verdienen? Hier beginnt bereits das philosophische Denken, wenn wir diese Begriffe hinterfragen.

Wer bestimmt, was „Leistung“ ist?

Der amerikanische Autor David Graeber hat vor ein paar Jahren die Theorie aufgestellt, dass die Jobs, mit denen Menschen das meiste Geld verdienen, häufig überflüssig sind, er nennt sie „Bullshit-Jobs“. Dagegen sind die schlecht bezahlten Jobs für die Gesellschaft oft absolut notwendig. Also brauchen wir wirklich „Hedgefond-Manager“ oder brauchen wir nicht vielmehr Pfleger:innen? Warum werden Mütter und Väter nicht für ihre wertvolle Erziehungsarbeit bezahlt? Was wäre eine Gesellschaft ohne Kinder? Und das sind nur Beispiele.

Doch genau danach wirst du beurteilt: bist du ein Manager oder im Aktiengeschäft an der Wallstreet? Wow, toll. Bist du in der Altenpflege? Ach so.

Manche Menschen haben Glück und arbeiten gerne, sie finden ihre Arbeit erfüllend und werden angemessen bezahlt. Viele aber entwickeln immer mehr ein Bewusstsein für ihre Situation und beginnen, ihre Arbeit stärker zu hinterfragen. Selbst Gutverdiener machen sich Gedanken darüber, welche Werte sie mit ihrem Job unterstützen. Wer jahrelang in einer Branche gearbeitet hat, bekommt den Wunsch, in seinem Leben noch etwas anderes zu machen.

Welches Menschenbild steckt hinter unserem Arbeitsbegriff?

In der Renaissance (Wiedergeburt) gab es den Begriff des „uomo universale“, des Universalmenschen. Das humanistische Menschenbild geht davon aus, dass der Mensch ein ganzheitliches Wesen ist. Er hat nicht nur eine Fähigkeit, sondern vielfältige Anlagen, die er in seinem Leben entwickeln will. Ein Mensch wird letztlich glücklich, indem er seine verschiedenen Interessen verfolgen und ausüben kann. Bekannte Universalgelehrte waren Leonardo da Vinci und Alexander von Humboldt.

Das Ideal der griechisch-römische Antike wurde in der Renaissance „wiedergeboren“. Die humanistische Bildung bezieht sich darauf, dass der universale Mensch allgemein und unabhängig von den Dogmen der Kirche gebildet ist. Sein Leben führt er selbstbestimmt und möglichst im Einklang mit der Natur. Humanistische Lehre vereint die verschiedensten Bereiche, wie Philosophie, Literatur, Sprachen, Architektur, Malerei, Mathematik, Forschung, Entdeckungsreisen, Bildhauerei, Musik und weitere. Wichtig ist die Ganzheitlichkeit des Menschen.

Ganzheitlichkeit versus Effizenz und Spezialisierung

In der kapitalistischen Moderne jedoch ist das Menschenbild ein komplett anderes, ja der humanistischen Vorstellung geradezu entgegengesetzt. Gewinnmaximierung durch Arbeitsteilung ist das Mantra der Industrialisierung. Die Spezialisierung und Aufspaltung des Arbeitsprozesses wird zum Motor des Kapitalismus. Völlig auf der Stecke bleibt dabei die Ganzheitlichkeit des Menschen. Je kleiner ein Arbeitsschritt im Produktionsprozess, desto besser. An die Stelle der ganzheitlichen Selbstbestimmung tritt die fremdbestimmte Fließbandarbeit. Ökonomen wie Adam Smith waren überzeugt, dass sich der Mensch im kleinsten Arbeitsschritt eines Produktionsprozesses besonders kreativ betätigt, weil er sich dann überlegen würde, wie stark man diesen kleinen Schritt noch effektiver gestalten kann.

Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem baut auf dem Menschenbild der Moderne auf. Effizienz spielt eine Hauptrolle, es geht um das „höher, schneller, weiter“. Es sorgt nicht dafür, dass der Mensch ganzheitlich seine Bedürfnisse befriedigen kann, sondern bildet ihn dahin gehend aus, dass er sein Leben lang eine Tätigkeit ausübt. Es gibt viele Arbeitsstellen, die ähnlich der Fließbandarbeit funktionieren, der Einzelne macht nur kleine Handgriffe anstatt den gesamten Prozess zu überblicken.

Unser Schulsystem will Effizienz statt Ganzheitlichkeit

Die Zerteilung der Bereiche macht auch vor der Schule nicht halt. Die Kinder lernen, dass sie ihre Interessen und Fähigkeiten spezialisieren müssen. In meiner Kindheit hieß es oft: du bist eben begabt für Sprachen, dafür aber nicht für Mathematik. Der Mensch wird kategorisiert, oft begründet mit speziellen Begabungen, die angeblich angeboren sind. Dabei spielt auch das Geschlecht eine Rolle. Mädchen haben ihre Begabungen mehr im künstlerischen oder sprachlichen Bereich, die Jungen in Mathematik, Physik und Technik.

Schlecht bezahlte Fließbandarbeit begegnet uns heute nicht nur in der Produktion, sondern auch in den wichtigen Pflege- und Erziehungsberufen. Gerade in der Pflege und im Gesundheitssektor ist die Überforderung hoch, die Patienten werden wie am Fließband kurz und „effizient“ abgearbeitet. Weder für Pflegekräfte noch für die Gepflegten ist diese Situation aushaltbar.

Doch auch in den gut bezahlten Berufen ist die Arbeit oft einseitig. Man denke an viele Bereiche, in denen man nur am Computer sitzt, wie bei der Programmierung. Oder man denke an erzieherische Berufe wie das Unterrichten der Kinder. Berufe, die erfüllend sein können, aber ihre Einseitigkeit (abgesehen von anderen Schwierigkeiten) kann den Menschen überfordern, er benötigt stets auch einen Ausgleich.

Lebenslang die gleiche Aufgabe?

Dazu kommt, dass jeder Mensch sich im Laufe seines Lebens entwickeln will. Nicht nur in seiner Kompetenz, sondern ganzheitlich als Mensch. Je mehr Kompetenzen und Reife ein Mensch entwickelt, desto mehr will er sich auch zeigen und Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne sollte ein guter Job ihm diese Perspektiven zur beruflichen Entwicklung bieten können. Da den meisten Arbeitenden diese Bedingungen nicht zur Verfügung stehen, kommt es zu entsprechender Frustration.

Manchmal äußert sich die frustrierende Monotonie nur in milder Form, man bekommt Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen. Doch immer mehr werden diese Symptome zur ausgewachsenen Krankheit, die sich psychisch und körperlich äußert. Bekannt sind Depression, Burnout, auch das sogenannte Boreout, also Folgen von Über- und Unterforderung. Dazu kommen oft Leistungsdruck, Spannungen mit Vorgesetzten oder Kolleg:innen, allgemeiner Stress und mangelnde Anerkennung.

Adam Smith weist widersprüchlicherweise selbst darauf hin, was bei einseitig monotoner Arbeit mit dem Menschen passieren kann:

Der Arbeiter „verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und wird so stumpfsinnig und einfältig, wie es ein menschliches Wesen nur eben werden kann“.

Adam Smith

Ein Grundbedürfnis jedes Menschen ist die selbstbestimmte Lebensweise, die zumindest zu einem gewissen Teil auch im Beruf gegeben sein muss. Das Menschenbild des Kapitalismus ist das Gegenteil des humanistischen Universalmenschen. Während dieser sich selbstbestimmt in all seinen Facetten entwickeln darf, zwängt uns die moderne Form der Arbeit in ein Korsett der Fremdbestimmung. Das beginnt bereits in der Schule und wird weitergeführt in Ausbildung und Studium, die nicht dazu dienen sollen, dass der Mensch herausfindet, was er lebenslang lernen und ausüben will. Das wäre ineffizient. Im Sinne des Arbeitsmarktes soll er sich dort ein- und unterordnen, wo er benötigt wird.

Weiterentwicklung und Perspektiven

Ob eine Arbeit uns gut tut, hängt von vielen Faktoren ab. Dabei geht es nicht nur um die Arbeit als Job, sondern es geht auch um das, was um diesen Job herum passiert. Ein wichtiger Aspekt ist die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Wenn die Tätigkeit im Job nicht mitwachsen kann, entsteht auf Dauer Frust und Resignation. Wir brauchen Perspektiven in unserem Leben. Entweder sollte sich deine Tätigkeit selbst verändern und neue Herausforderungen bieten oder dein Verantwortungsbereich erweitert sich. In jedem Fall sollte sich dein Gehalt regelmäßig erhöhen, damit deine sich entwickelnde Kompetenz und Expertise anerkannt wird.

Welche Fragen du dir stellen kannst, um dir deine Arbeitssituation klarer zu machen:

  • Fühlst du dich fair bezahlt?
  • Siehst du einen Sinn in deiner Arbeit, der mit deinen moralischen Werten übereinstimmt?
  • Erfährst du Wertschätzung von deinen Vorgesetzten und Kolleg:innen?
  • Hast du Perspektiven, dich weiterzuentwickeln?
  • Findest du, dein Job ist wertvoll für die Gesellschaft?
  • Bist du stolz darauf, deinen Job auszuüben?
  • Erfüllt dich die Arbeit, die du tust?
  • Bist du zufrieden mit der Zeit (Stundenanzahl), die du arbeitest?
  • Fühlst du dich unter Druck? (Weil von dir Überstunden verlangt werden oder Dinge, die du nicht tun willst, wirst du sogar gemobbt?)
  • Ist dein Job vereinbar mit dem Leben, das du führst oder führen willst?
  • Wenn du Familie hast, um die du dich kümmerst (Kinder, Eltern), lässt dir dein Job hier genug Zeit und Spielraum?
  • Wenn du deinen Job nicht magst, gibt es etwas, das du lieber machen würdest? Was wäre dein absoluter Traumjob?
  • Entspricht diese Arbeit deiner Ausbildung oder deinem Studium?
  • Kann diese Arbeit dir deine Rente sichern, legst du darauf Wert?

Ganz anders ist deine Situation, wenn du dir überhaupt einen neuen Job suchen musst. Vielleicht bist du Mutter oder Vater geworden, und kannst wegen der neuen Bedingungen nicht mehr in deinen alten Job zurück. Du willst Teilzeit arbeiten, weil du dich auch um deine Kinder kümmern willst. Oder hattest du einen Job, z.B. in der Gastronomie oder in einem Bereich, der zeitlich nicht mehr zu deinem neuen Leben passt?

Ein Fallbeispiel für eine starke Veränderung im Beruf

Manchmal ist ein Job äußerlich anerkannt und gut bezahlt und trotzdem bist du frustriert, über- oder unterfordert und siehst keinen Sinn mehr in dem, was du tust. Beispielsweise erging es jemandem so, der als Softwareentwickler angestellt war. Sein erster Schritt zur Veränderung war der Wechsel in die Selbständigkeit. Das gab ihm zunächst ein besseres Arbeitsgefühl, er konnte Aufträge annehmen oder ablehnen und die Arbeitszeiten flexibler gestalten. Auf Dauer aber genügte auch das nicht mehr. Er fühlte sich zu sehr unter Druck, die Tätigkeit selbst erfüllte ihn nicht mehr. Außerdem lehnte er die Werte der Firmen ab, für die er tätig sein musste.

Mit der Zeit fand er heraus, dass in ihm seine alte Liebe zur Natur wieder erwachte. Er reduzierte seine Aufträge auf das Allernötigste und war bereit, noch einmal in eine Ausbildung zu investieren. Sein neues Tätigkeitsfeld hatte mit der digitalen Welt gar nichts mehr zu tun und sie machte ihn glücklich. Da es jedoch schwierig war, in diesem neuen Bereich Geld zu verdienen, musste er noch weiterhin im digitalen Bereich arbeiten, allerdings enorm reduziert und er versuchte, mit seiner neuen Ausbildung einen Job zu finden. Schlussendlich verdiente er wesentlich weniger als vorher, aber er fühlte sich viel zufriedener und hatte Perspektiven, sich beruflich noch zu verändern.

Was wäre dein Traumjob? Das herauszufinden, ist oft nicht einfach.

Um sich beruflich zu verändern, braucht man zunächst Zeit, um herauszufinden, was überhaupt eine Alternative zum aktuellen Job sein könnte. Weißt du schon, was dein Traumjob wäre? Dann bist du bereits gut aufgestellt. Viele empfinden zwar Unzufriedenheit oder schlimmere Gefühle in Bezug auf ihren Beruf, wissen jedoch nicht, wo eigentlich ihre Interessen und Vorstellungen liegen.

Und oft sind die Umstände leider auch nicht so, dass man einfach eine neue Aus- oder Weiterbildung machen kann. Unser Arbeitssystem ist darauf nicht ausgerichtet. Besonders schwierig ist es, wenn man Familie und Kinder hat, für die man finanzielle Verantwortung trägt.

Job und Arbeit – eines der schwierigsten Themen in unserer Zeit. Wenn du gerne über deine konkrete Situation sprechen möchtest, freue ich mich über deine Nachricht. Gemeinsam erarbeiten wir Perspektiven für deine persönliche Entwicklung.

Wie geht es dir in deinem Job? Hast du Veränderungswünsche? Schreib es mir gerne in die Kommentare.

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2 Gedanken zu „Welchen Einfluss hat Arbeit auf unser Leben?“

  1. Ein schöner Beitrag über so ein wichtiges Thema. Gerade diese Mischung aus individuellem Problem (Druck durch Arbeit, Anerkennung, Geldnot etc.) und der politischen-gesellschaftlichen Perspektive. Ich als Mann arbeite Teilzeit, um mehr Zeit (oder überhaupt Zeit) mit meinen Kindern zu haben und habe das Privileg, nicht schlecht zu verdienen, weiß aber gleichzeitig, dass vielen Männer gerne weniger arbeiten würden, es aber nicht können (Druck vom Arbeitgeber, zu wenig Verdienst, Angst vor dem Verlust des „männlichen Status“ usw.).
    Und eben die noch viel größere Problematik der Frauen, die immer noch den großen Teil der Care-Arbeit machen und dafür viel zu wenig Anerkennung – gesellschaftlich und finanziell – bekommen.
    Ich glaube, wir brauchen einen vollkommenen Paradigmenwechsel in unserer Arbeitswelt. Was ist welche Arbeit wert, wer leistet sie und wie können wir „ganz einfach“ dafür sorgen, dass alle Menschen in Sicherheit und ohne finanzielle Ängste und Abhängigkeiten leben können. Denn dafür sollte ein wie auch immer gearteter Arbeitsmarkt sorgen. Und eine demokratische Gesellschaft übergeordnet sowieso.

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