Ein Mensch ist keine Seifenblase

Der Mensch ist keine Seifenblase. Er braucht Philosophie, Psychologie und Politik, um an sich zu arbeiten.

Warum die Verbindung von Psychologie, Philosophie und Politik wichtig ist

Stell dir vor, jeder Mensch schwebt im Raum umher wie eine in sich abgeschlossene Seifenblase. Ohne Fenster, durch die er nach draußen schauen kann, ohne die Möglichkeit, Kontakte zu anderen aufbauen zu können? Seltsam unsoziale Vorstellung? So hat sich der Philosoph Gotthold-Ephraim Leibniz (1646–1716) den Menschen vorgestellt. Er nannte die Seifenblase „Monade“. Damit das Zusammenleben trotzdem funktioniert, gab es für Leibniz eine „prästabilierte Harmonie“, das heißt, Gott kümmert sich darum, dass insgesamt alles zueinander passt.

Brauchen wir einander? Oder lebt jeder für sich allein? Was macht den Menschen aus, was wirkt auf ihn ein?

Können wir uns als einzelne Individuen, unabhängig von unserem gesellschaftlichen Umfeld, begreifen? Oder sind wir nicht vielmehr von der ganzen Welt beeinflusst, von unserem sozialen Status, von unseren Familien und Beziehungen, von Bildung und Arbeit? 

Ich widerspreche Leibniz. Wir sind keine abgeschlossenen Monaden, sondern soziale Wesen, die einander wahrnehmen und miteinander kommunizieren. Im Gegenteil, Menschen brauchen Menschen, sie sind Gemeinschaftstiere. Jeder Mensch entwickelt ein Ich, das jedoch beeinflusst wird von den sozialen Umständen, in denen er lebt und aufwächst.

Unsere Psyche reagiert darauf, was wir erleben. Werden wir unterstützt oder diskriminiert? Erleben wir Gewalt oder Sicherheit? Werden wir autoritär fremdbestimmt oder können wir uns selbstbestimmt entwickeln? In diesem Sinne spielen Psychologie, Philosophie und Politik eine sich ergänzende Rolle, wenn es darum geht, uns als Menschen im Ganzen zu verstehen. Wir können unsere Psyche nur verstehen, wenn wir verstehen, was sie beeinflusst. Wollen wir etwas verändern, geht es um das Innen und um das Außen. Um die persönliche Erfahrung, aber auch um die gesellschaftlichen Umstände, in denen wir diese Erfahrungen machen.

Diskriminierung ist ein objektives Problem

Wenn jemand Diskriminierung oder sogar Gewalt erfährt – am Arbeitsplatz oder Zuhause –, dann kann die Psychotherapie zwar helfen, diese Erfahrungen zu bearbeiten. Wenn sich aber die äußeren Strukturen nicht verändern, bleibt das Problem bestehen. Die Diskriminierung ist ein gesellschaftliches Problem, kein individuelles. Natürlich können wir diese Strukturen nicht einfach gleich verändern, aber es ist wichtig, sie wahrzunehmen. Der Mensch kann das Problem dann objektiver betrachten und muss es nicht als sein persönliches Defizit empfinden.

Unsere Gefühle sind zwar persönlich, aber die Ursachen sind politisch. Wir leben nicht im luftleeren Raum. Wer die Ursache von Krankheiten und Problemen nicht bekämpft, der kann nicht nachhaltig dafür sorgen, dass die Menschen ihre Psyche gesunden lassen können.

Im ganzheitlichen Gespräch geht es deshalb darum, alle drei Bereiche einzubeziehen. Unsere Erfahrungen und unser Denken, Gefühle und Geist (Psyche) sind stets in Beziehung zur Außenwelt zu betrachten. Als Mensch gehören wir zur Gesellschaft und daher ist genauso wichtig, die Gesellschaft zu verstehen wie unsere individuelle Situation.

Psychologie und Philosophie ergänzen und bedingen einander

Philosophie und Psychologie dienen der Bewusstwerdung unserer Gedanken und Gefühle. Wenn wir unser Verhalten in der Gegenwart verändern möchten, ist es notwendig, die Gründe und Ursachen dafür herauszufinden. Wir schauen in die Vergangenheit, um zu verstehen, was in der Gegenwart passiert. Wie haben Ereignisse und Erfahrungen dich geprägt?

Die Psychologie versucht, deine Erfahrungen und Gefühle in deiner persönlichen Entwicklung zu verstehen. Sie bezieht sich besonders auf die psychischen Verbindungen zu deiner Familie oder Beziehungen zu anderen Menschen, die du erlebt hast.

Jeder spielt seine Rolle in der Gesellschaft

Doch auch die anderen Menschen, mit denen du zu tun hast, spielen ihre Rollen in der Gesellschaft. Es geht darum, auch diese Rollen zu verstehen und was die Menschen, zu denen wir in Beziehung stehen, erleben, denken und fühlen. Die Philosophie setzt sich mit den gesellschaftlichen und sozialen Faktoren auseinander, die für dein heutiges Ich verantwortlich sind. Was bedeutet es, in einer Gesellschaft zu leben, die uns mit kapitalistischem Wettbewerb um Erfolg ständig unter Druck setzt? Obwohl du diese Umstände nicht direkt verändern kannst, führt ein besseres Verständnis der Welt dazu, dass du dir klarer darüber wirst, was du denkst und willst.

Und dann kannst du auch entscheiden, ob du dich dafür einsetzen willst, dass sich etwas verändert. In deinem persönlichen Umfeld oder auch gesellschaftspolitisch.

Psychologie – individuelle Erfahrungen im Fokus

Die Psychologie beschäftigt sich hauptsächlich mit deiner persönlichen Situation, mit den Erfahrungen deiner Kindheit und mit deinem individuellen Verhalten. Wichtig dabei ist, dass wir verdrängte Gefühle und Erfahrungen uns bewusst machen, damit sie uns nicht unbewusst in unserem Handeln bestimmen. Je bewusster wir mit unserer Vergangenheit umgehen können, desto selbstbestimmter können wir unser Leben führen.

Verdrängung kostet Kraft

Ereignisse und Emotionen, die wir konsequent verdrängen, sind nicht „weg“, im Gegenteil, sie nehmen starken Einfluss auf unser aktuelles Fühlen und Denken, gerade weil wir sie nicht bewusst werden lassen wollen.

Verdrängung kostet außerdem viel Kraft und Energie, die uns wiederum für andere Dinge fehlt. 

Kritik an der Psychotherapie

Die Psychotherapie legt keinen Wert darauf, die gesellschaftliche Situation des Menschen zu hinterfragen. Begründet damit, dass gesellschaftspolitische „Meinung“ der Therapie schaden könnte. Doch wenn die Lebensumstände Menschen krank machen, wäre es doch gerade notwendig, dass die Psychologen und Psychotherapeuten diese Umstände gesellschaftspolitisch kritisieren. Gewalt und Diskriminierung, die Unvereinbarkeit von Arbeitswelt mit dem Familien- und Beziehungsleben, ungerechte Lebensumstände – all das erfordert eine politische Haltung und öffentliche Kritik.

Philosophie: Die Grundlage für das Weltbild und Gesellschaftskritik

Die humanistische Philosophie war die Grundlage für viele Wissenschaften, auch für die Psychologie. Im antiken Griechenland machten sich Philosophen Gedanken über die menschliche Psyche und wo die Ursachen dafür liegen könnten, wenn es ihr nicht mehr gut geht. Diese philosophischen Gedanken über die Psyche entwickelten sich ungefähr zusammen mit der ersten Demokratie im antiken Athen. Die Philosophen stellten die Urfragen nach der menschlichen Natur.

Sokrates ist einer der bekanntesten Philosophen bis heute. Er erarbeitete die sogenannte Hebammenkunst des Fragens, die sokratische Methode. Er verglich seine Rolle als Philosoph mit der einer Hebamme, die bei der Geburt hilft. In diesem Fall ging es jedoch nicht um die physische Geburt eines Kindes, sondern um die geistige Geburt von Ideen und Erkenntnissen.

Die sokratische Methode ist die Urform der therapeutischen Arbeit

Sokrates wollte mit der Mäeutik seinen Gesprächspartnern helfen, ihre eigenen Überzeugungen und Gedanken zu erkennen und zu hinterfragen, um so zu einem tieferen Verständnis der Wahrheit zu gelangen. Er glaubte, dass ursprüngliche Ideen bereits im Inneren eines Menschen vorhanden sind und durch gezieltes Fragen und kritisches Denken herausgearbeitet werden können.

Als Mäeut war Sokrates der Geburtshelfer der Erkenntnis. Er half seinem Gesprächspartner, seine eigenen Annahmen und Überzeugungen zu überprüfen und Erkenntnis zu „gebären“. Durch logisches Nachfragen konnte Sokrates ihn darin unterstützen, seine Widersprüche und Unklarheiten aufzudecken. Auf diese Weise wurde der Gesprächspartner dazu angeregt, seine eigenen Überzeugungen kritisch zu reflektieren und gegebenenfalls zu revidieren.

Sokrates glaubte an das Gute im Menschen und dass es für schlechtes Handeln Gründe gibt, die man aufdecken kann. Seine Irrtümer kann der Mensch aufklären und so zur richtigen Erkenntnis kommen.

Sarah Gebhardt

Durch die Philosophie lernen wir, die Welt zu verstehen. Durch das Hinterfragen und Erforschen grundlegender Fragen können wir ein tieferes Verständnis für die menschliche Natur und den gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft entwickeln. Indem wir uns auch mit der Vergangenheit auseinandersetzen, lernen wir, was die Ursachen und Gründe für unsere heutige Situation sind. Dies hilft uns, unsere eigenen Werte, Überzeugungen und Handlungen besser zu verstehen und kritisch zu reflektieren. In der Beratung und beim Coaching hilft die philosophische Perspektive, die eigenen persönlichen Werte und Überzeugungen zu erkennen und selbstbestimmt zu entwickeln.

Politik: Die gesellschaftlichen Umstände

In einer Demokratie ist die Politik das Ergebnis des Denkens und Handelns der Demokraten. Gesellschaft zu gestalten und zu verändern ist ein langwieriger Prozess. Doch dieser Prozess ist weder von überirdischen Mächten noch von Einzelpersonen bestimmt. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich politisch einsetzen und Einfluss nehmen.

Zustände, die Menschen unglücklich und krank machen, können nur politisch verändert werden. Die objektiven Umstände sind der entscheidende Teil unseres Lebens. Wollen wir selbstbestimmt leben, sollten wir uns mit den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren auseinandersetzen, die unseren Lebensentwurf möglich oder unmöglich machen. Unsere Probleme und Herausforderungen sind das Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen und politischer Entscheidungen.

Veränderung ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit psychischen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen

Wenn du an dir arbeiten willst, ermutige ich dich, dein Verständnis für diese Zusammenhänge zu entwickeln. Durch deine Erkenntnisse kannst du gedankliche Klarheit entwickeln, die dir hilft, dich dafür einzusetzen, was du für richtig hältst.

Fazit

Im Zusammenspiel von Philosophie und Psychologie können wir ein ganzheitliches Bild von uns selbst und unserer Rolle in der Welt entwickeln. Im Erkenntnisprozess lernen wir, was wir für richtig halten und ob wir uns verändern wollen.

Psychologie, Philosophie und Politik sind untrennbar miteinander verbunden, wenn es darum geht, den Menschen als ganzheitliches Wesen zu verstehen und zu Veränderungen zu ermutigen.

Das persönliche Wohlbefinden ist kein subjektiv abgetrennter Bereich, sondern verknüpft mit den objektiven Lebensumständen.

Die Welt zu verstehen, hilft, uns selbst zu verstehen. Unsere persönliche Situation zu verbessern, hängt damit zusammen, eine bessere – gerechtere und nachhaltigere – Gesellschaft zu schaffen. In der Auseinandersetzung mit der Welt lernen wir, ein erfülltes und sinnvolles Leben zu führen.

Sarah Gebhardt

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