„Alle Menschen sind Philosophen“ – und warum das notwendig ist

Für den Wiener Philosophen Karl R. Popper sind „alle Menschen Philosophen, denn sie denken über die Grundfragen des Lebens nach“. Warum ist diese These so wichtig, besonders für unsere Demokratie?

In einer Demokratie zählt jeder Einzelne

Eine Demokratie besteht aus den Menschen, die in ihr leben und sie gestalten. Je moralischer und demokratischer die Menschen denken und handeln, desto besser für die Demokratie. Das waren die Gedanken des griechischen Philosophen Sokrates, als er beschloss, mit jedem Einzelnen, der sich dazu bereit erklärte, über Tugend und moralische Werte zu sprechen.

Die erste Demokratie, die wir kennen, entstand im antiken Athen. Zum ersten Mal ging es darum, dass ein Volk sich selbst regierte, und nicht mehr der Macht der Eliten ausgeliefert war. Dass es dabei auch Probleme gab, liegt auf der Hand.

Die Aristokraten kämpften darum, ihre Macht zurückzugewinnen und auch die organisatorischen Probleme einer direkten Demokratie waren nicht einfach zu bewältigen. Wie sollten etwa ärmere Bürger den Arbeitsausfall kompensieren, wenn sie zu einer Wahl oder Abstimmung mussten? Als die Demokratie im Niedergang begriffen war, stellte sich der Philosoph Sokrates regelmäßig auf die Agora, den Marktplatz Athens, um mit den Menschen in der Öffentlichkeit Gespräche zu führen. Warum tat er das?

Das Gute im Menschen

Demokratie bedeutet, dass jeder Einzelne gefragt ist, sich in wichtigen Fragen eine Meinung zu bilden und seine Gesellschaft mitzugestalten. In allen Bereichen kommen wir irgendwann auf die Grundfragen des gemeinschaftlichen Lebens, das sind die philosophischen Fragen.

  • Was sind die Grundbedürfnisse des Menschen?
  • Was bedeuten uns Freiheit und Gerechtigkeit?
  • Was ist sinnvolle Moral?
  • Was ist Frieden?
  • Was ist Natur?

Daraus leiten wir ab, wie wir weltpolitisch miteinander umgehen, ob wir Kriege führen, wie wir die Natur behandeln, welche Wirtschaftsform wir benötigen.

Sokrates setzte sich für die athenische Demokratie ein, indem er die Menschen tugendhafter machen wollte. Sein Menschenbild besagt, dass in jedem Einzelnen das Gute vorhanden ist. Wenn ein Mensch nicht gut handelt, sind es Widersprüche und Irrtümer, die ihn davon abgebracht haben.

Je mehr Menschen sich mit den Grundfragen auseinandersetzen und sich für ihre Sicht der Dinge einsetzen, desto lebendiger und demokratischer wird unsere Gesellschaft. 

Wer die demokratische Form des Zusammenlebens für richtig hält, der geht davon aus, dass der Mensch zum Guten fähig ist. Denn wenn man davon überzeugt wäre, dass der Mensch von Natur aus böse ist, ist die Demokratie nicht die Staatsform, in der man leben möchte.

Die eigenen Widersprüche aufarbeiten

Um herauszufinden, wo ein Mensch vom moralisch guten Weg abgekommen ist, verwendet Sokrates die Mäeutik, die dialogische Hebammenkunst. Indem er Fragen stellt, versucht er zusammen mit seinem Gesprächspartner zu erarbeiten, wo dieser inhaltlich steht und welche Meinung er hat. Von dieser Position aus geht er gemeinsam mit ihm den Weg zurück, um die Weggabelung zu finden, wo der Irrtum stattgefunden und ein Widerspruch sich gebildet hat.

Wie wollen wir leben?

Heute leben wir in einer Demokratie, also treffen die Gedanken des Sokrates auch auf uns zu. Wir leben gerade in einer Welt, in der klar wird, dass wir so nicht weitermachen können. Doch die große Frage ist: was sollen wir verändern, wo wollen wir hin? Welche Form des Wirtschaftens und des gemeinschaftlichen Lebens ist sinnvoll, um wieder im Einklang mit Mensch und Natur leben zu können?

Vom Guten auszugehen, heißt, eine Utopie des Guten für möglich zu halten. Daran zu glauben, dass wir als Menschen eine sinnvolle Weltgemeinschaft bilden können. Ein Leben, das auf dem Frieden zwischen Mensch und Mensch, aber auch auf dem Frieden zwischen Mensch und Natur, aufbaut.

Warum ist es also notwendig, dass jeder Mensch ein Philosoph ist?

Die Frage beantwortet sich von selbst: jeder Mensch, der sich mit diesen Fragen beschäftigt und daran mitarbeitet, unsere Gesellschaft humaner und naturnäher zu gestalten, hilft uns allen. Die Beschäftigung mit philosophischen Fragen ist keine realitätsferne Träumerei im Wolkenkuckucksheim. Es geht darum, unsere Gesellschaft zu verändern, indem wir uns selbst verändern.

Wo liegen unsere Irrtümer und Widersprüche?

Indem jeder Einzelne seine Widersprüche und Irrtümer erkennt und aufarbeitet, leistet er einen Beitrag dazu, die Gesellschaft zu humanisieren. Je humaner und selbstbestimmter jeder Einzelne lebt, desto besser für die menschliche Gemeinschaft und das Leben mit der Natur.

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